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Familien- und Sozialpolitik: Konzeptionslosigkeit als Prinzip?
Posted By Thomas Apolte On 31. Mai 2012 @ 00:01 In Demographisches,Familienpolitisches,Soziales | 3 Comments
Der Initiative der damaligen Familienministerin von der Leyen folgend, beschloss das Bundeskabinett am 5. September 2007 die Förderung des Ausbaus der Kinderkrippen für ein- bis dreijährige Kinder auf 750.000 Betreuungsplätze bis 2013 und die Einführung eines Rechtsanspruchs auf einen Betreuungsplatz ab dem zweiten Lebensjahr. Da dieser Ansatz vor allem vom Koalitionspartner CSU als ein Eingriff in die privatautonome Entscheidung junger Eltern gewertet wurde, war er nur in Kombination mit dem Versprechen zu haben, ab 2013 solchen Familien ein pauschales Betreuungsgeld zu überweisen, die sich ausdrücklich für die häusliche Betreuung ihrer unter drei jährigen Kinder entscheiden. Diese letztere Maßnahme ist nun – wo ihre Implementierung akut wird – allenthalben in der Kritik.
Auf der Suche nach einem Maßstab für die Bewertung aller dieser Aktivitäten sucht man als Ökonom zunächst nach einer Konzeption – nach einem nachvollziehbaren normativen Maßstab, aus dem heraus sich eine solche Bündelung von Maßnahmen einigermaßen widerspruchsfrei ableiten ließe. Grundlagen hierzu lassen sich in der Tat leicht finden, aber eine sozial- und familienpolitische Konzeption will daraus nicht recht werden. Sehen wir uns die relevanten normativen Grundlagen also einmal an:
Diese drei Grundlagen lassen sich konsistent herleiten und ihre prinzipielle Bedeutung auch kaum bestreiten. So wäre es denn angezeigt, sich die dahintersteckenden Wertungen deutlich zu machen sowie die Zielbeziehungen zwischen den einzelnen Grundlagen zu analysieren. Beispielsweise mag man der elterlichen Erziehungsautonomie einen sehr hohen intrinsischen Wert zuweisen, für den man auch bereit ist, bestimmte sich später ergebende Ungleichheiten in Ausbildungs- und Erwerbsstatus zwischen Abkömmlingen unterschiedlicher Bildungshintergründe hinzunehmen. Man mag seine Wertung aber auch anders gewichten. Entsprechend mag man sich für oder gegen kostenlose kommunale Betreuungsangebote aussprechen oder sich sogar für eine Kindergartenpflicht einsetzen. Aus dem liberalen Prinzip allein lässt sich übrigens keine der dahinter stehenden Wertungen ableiten, weil diesem Prinzip zunächst einmal nur der Vorrang der Privatautonomie mündiger Erwachsener vor staatlichen Entscheidungn folgt, aber die Frage ungeklärt bleibt, wer im Namen unmündiger Kinder der im Sinne des Kindeswohls geeignete Entscheider sein könnte. Auf der anderen Seite sollte man sich hüten, aus bestimmten – auch systematischen – Unzulänglichkeiten elterlicher Entscheidungen automatischen staatlichen Handlungsbedarf abzuleiten. Dieser Vorbehalt folgt erstens aus der unersetzlichen emotionalen Bindung zwischen Eltern und Kind, die ein Staat naturgemäß nicht bereit stellen kann, und zweitens aus dem Demsetz’schen „Nirwana-Vorwurf“, wonach eine Versagensvermutung der Privatautonomie ohne den Nachweis der Fähigkeit des Staates zur Verbesserung der Lage erst einmal bedeutungslos ist.
Neben diesen Wertungsfragen wären dann die verschiedenen Zielbeziehungen zwischen den drei Grundlagen zu klären. So werden verminderte Lebenseinkommensverluste durch Kinderbetreuung das Common-pool-Problem der Sozialversicherungen lindern können. Andererseits würden hochgebildete Eltern möglicherweise sowohl im Beruf als auch in der Erziehung vielleicht die besten Leistungen erbringen. Viele weitere Zielkonflikte – und -kongruenzen ließen sich aufdecken, und so könnte es was werden mit einer halbwegs konsistenten Sozial- und Familienpolitik.
Was wir in der Realität beobachten, sieht freilich anders aus. Ganz unabhängig von ihren jeweiligen ministerialen Zuständigkeiten kommen die Impulse immer von ein und derselben Person. Eine irgendwie geartete Rückführung auf allgemeine Grundsätze lässt sich nicht finden. Und darüber hinaus findet man vor allem eines: nämlich Vielstimmigkeit. Welchen Sinn könnte demnach nun der bereits 2007 beschlossene Aufbau der Betreuungsplätze für unter drei jährige Kinder haben und (!) welchen Sinn hat dann das damit verbundene Betreuungsgeld für diejenigen, die solche Angebote nicht nutzen? Gehen wir diesen Fragen kurz nach.
Der Ausbau der Betreuungsangebote bewirkt entlang unserer drei Grundsätze dreierlei: Erstens verringert er die Kosten der Kindererziehung ganz generell, so dass die Entscheidung pro Kind eine für die fernere Zukunft zu erwartende Linderung des Common-pool-Problems der Sozialversicherungen bewirken könnte. Zweitens begünstigt er die Berufstätigkeit der Eltern, und zwar vor allem jener, die über einen vergleichsweisen hohen und schnell abzuschreibenden Humankapitalbestand verfügen; und drittens hat er Auswirkungen auf die Entwicklung der Kinder, die aber unter Frühpädagogen für die in Rede stehenden ersten drei Lebensjahre nicht unumstritten sind.
Was ändert sich nun, wenn der Ausbau der frühkindlichen Betreuungsinfrastruktur ergänzt wird durch ein Betreuungsgeld? Erstens werden die Kosten der Kindererziehung weiter reduziert, zumindest im Durchschnitt, was die Sozialversicherungen künftig entlasten könnte, weil sich weitere junge Menschen für Kinder entscheiden. Zweitens wird die Begünstigung der Berufstätigkeit der Eltern teilweise wieder zurückgenommen, mit welchem Sinn auch immer, und es werden drittens Auswirkungen des „Betreuungs-Swichtes“ zwischen Eltern und Krippen auf die Bildungsentwicklung der unter drei jährigen Kinder teilweise wieder zurückgenommen, über deren Bedeutung aber wenig bekannt ist, weil sich die Frühpädagogen darüber wie gesagt streiten.
Im Ergebnis steht zu vermuten: Die Vereinbarkeit von Beruf und Familie vor allem der besser Ausgebildeten und Besserverdienenden wird durch den Ausbau der Krippen verbessert. Dadurch wird deren Lebenseinkommen und vermutlich auch deren Lebenszufriedenheit verbessert. Letzteres dürfte teilweise durchaus in Effizienzverbesserungen begründet liegen, weil gut ausgebildete Menschen ihre Ausbildung nun auch beruflich einsetzen. Es fragt sich aber, ob gerade die in Rede stehende Bildungs- und Einkommensgruppe das Ganze nicht auch eigenverantwortlich hätte organisieren können – und womöglich besser. Entsprechende steuerliche Anreize, welche den aus steuerlichen Gründen reduzierten Grad an Arbeitsteilung zwischen potenziellen Kinderbetreuern und berufstätigen Eltern wieder erhöhen, hätten hier vielleicht sogar mehr bewirkt.
Hinzu kommt: Der nicht auf Effizienzverbesserungen zurückgehende Teil der Verbesserung von Lebenseinkommen und Lebenszufriedenheit der Bessergestellten ist dann eine Art realer Vermögenstransfer von den weniger an die besser (Aus)Gebildeten. Und dieser soll nun durch das allgemeine Betreuungsgeld wieder zurückgezahlt werden, so dass Eltern mit schwachen Einkommenserzielungschancen pauschal für Erziehungsleistungen vergütet werden und insoweit die Alternative zur Berufstätigkeit attraktiver wird. Begründet wird das Ganze freilich mit der – allerdings nur vermeintlichen – Neutralität des ganzen Maßnahmenbündels mit Blick auf die elterliche Entscheidung zur Eigen- oder Fremdbetreuung der Kinder.
Die Wirkung des ganzen Maßnahmenbündels auf zwei der drei sozial- und familienpolitischen Grundlagen ist damit völlig unklar. Seine Wirkung auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist nicht hinreichend geklärt. Die Wirkung auf die Persistenz von Bildungsdynastien dürfte eher eine verstärkende sein, und das allein schon durch den Ausbau von Kinderkrippen, erst recht dann noch einmal durch deren Flankierung mit einem Betreuungsgeld. Bleibt die Wirkung auf die demographische Entwicklung und den Common-pool-Effekt der Sozialversicherungen. Der bliebe abzuwarten, war aber ohnehin nie im Zentrum der Diskussion.
Ein Trost bliebe vielleicht: Die Unklarheit über die tatsächlichen Wirkungen der Familien- und Sozialpolitik fügt sich fast schon wundersam in die Uneinigkeit darüber ein, welche Wirkungen man sich denn überhaupt erst einmal davon erwünscht. Entsprechend scheint zu gelten: Wenn man sich schon nicht darüber einigen kann, was man tun will, so sollte man doch zumindest irgendwas tun, und da man weder weiß, was man überhaupt will, noch weiß, ob das, was man wollen würde, aus der verfolgten Politik folgen könnte, so wird man schon aus zwei Gründen nicht wissen, welchen Zielen man überhaupt dient. Das kann sehr nützlich sein, wo man sich über die Ziele der Politik doch ohnehin nicht einig werden kann – wenn es nicht so teuer wäre. Aber längst ist unsere Allzuständigkeitsministerin mit einem neuen und ganz ähnlich gelagerten Thema beschäftigt, mit der Mindestrente nämlich und mit neuen Erziehungsanrechnungszeiten für Eltern mit Kindern, die vor 1992 geboren sind. Ob und welchen Zielen das dann alles wiederum dienen sollte oder könnte bleibt auch hier natürlich wieder im ungefähren. Man muss schließlich flexibel sein in diesen Zeiten. Allzu viel Systematik kann da nur hinderlich sein.
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